Autoimmunkrankheiten sind die Krankheiten des 21. Jahrhunderts. Reist man etwa 50 Jahre in der Zeit zurück, waren sie weder ein Massenphänomen noch wusste man übertrieben viel über sie.
Ich möchte diesen Blogbeitrag einmal anders gestalten als üblich. Dies soll kein wissenschaftlicher, sondern mehr ein metaphorischer Blog werden. Damit möchte ich das Vorstellungsvermögen meiner Leser anregen.
Vorab: welche Leiden zählen zu den Autoimmunkrankheiten?
Ich werde die Autoimmunkrankheiten jetzt einfach einmal tabellarisch auflisten:
- Rheumatoide Arthritis
- Diabetes Typ 1
- Zöliakie
- Lupus
- Multiple Sklerose
- Hashimoto-Schilddrüsenentzündung
- Sjögren-Syndrom
- Sklerodermie
- Morbus Bechterew
- Teilweise: chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
Was versteht man unter einer Autoimmunkrankheit?
Wie der Name es ausdrückt (Auto aus dem griechischen Autos = „selbst“), machen sich bei einer Autoimmunkrankheit Teile des Immunsystems selbstständig und attackieren auf irgendeine Weise das eigene Körpergewebe. Biologisch ist das natürlich nicht sinnvoll. Es ist ungefähr so, als würde man sich ständig (absichtlich) selbst verletzen. Nur, dass man über die Reaktionen des Immunsystems keinerlei Kontrolle hat – jedenfalls scheinbar nicht.
Vermutlich haben Sie bereits davon gehört, dass manche Menschen sich absichtlich selbst verletzen. Es ist ein Charakteristikum manche Formen von Depression und des Borderline-Syndroms. Diese „Grenzgänger“ des menschlichen Bewusstseins fügen sich tatsächlich selbst Schmerzen zu.
Doch das Immunsystem denkt bekanntlich nicht. Es hat auch keine Gefühle oder Emotionen. Welchen Grund könnte es also für das Immunsystem geben, quasi seinen eigenen Wirt zu attackieren und dessen Leben zu beeinträchtigen?
Autoimmunkrankheiten: „Selbsthass“ als Erklärung fällt aus
Das Immunsystem entwickelt keinen Hass auf seinen Träger. Das Immunsystem ist Teil seines Wirts. Warum es dann plötzlich sozusagen in den eigenen Reihen amokläuft, lässt sich nicht mit dem Immunsystem selbst erklären. Es gibt keine „Absicht“, so zu handeln.
Von dieser Tatsache abgesehen lässt sich der Autoimmunprozess auch nicht – jedenfalls nicht ausschließlich – mit irgendwelchen genetischen Konstellationen erklären. Der Grund, warum eine Autoimmunreaktion plötzlich entsteht, muss daher außerhalb des Immunsystems zu finden sein.
Und hier beginnt meine Reihe erklärender Gedankengänge: „Stellen Sie sich vor…“
Wenn das Immunsystem nicht ordnungsgemäß reagiert, muss es irgendetwas geben, was es aus der Ordnung treibt. Da die Autoimmunkrankheiten in den letzten 40-50 Jahren massiv zugenommen haben, müssen diese Ursachen für die Veränderung des Immunsystems moderner Natur sein.
Ich fordere Sie einmal auf, sich folgenden Gedankengang auf der Zunge zergehen zu lassen: wann reagieren Sie natürlich? Die einzig richtige Antwort ist: Sie reagieren natürlich, denn sie wach, gleichzeitig entspannt und frei von irgendwelchen Einflüssen sind: Drogen, Alkohol, einem sehr vollen oder einen sehr leeren Magen, Stress, eventuell einer Drohung, Problemen oder Überforderung. Sie werden mit 1,6 Promille völlig anders reagieren als nüchtern. Sie werden unter einer Linie Kokain völlig anders reagieren als nüchtern. Sie werden anders reagieren – etwa auf eine Frage – wenn Ihr Chef Ihnen damit gedroht hat, Sie zu entlassen. Wenn der Hunger in Ihnen nagt, werden Sie völlig anders reagieren als wenn sie gesättigt sind.
Sie werden vollkommen anders reagieren, wenn Sie einen 8-Stunden-Job plus Schule nebenher plus ein chronisch krankes Kind plus eine drohende Scheidung im Nacken sitzen haben als wenn sie von all diesen Dingen frei sind.
Genauso geht es Ihrem Immunsystem.
Autoimmunkrankheiten: zwei metaphorische Beispiele
Damit Sie sich vorstellen können, wie einer Autoimmunkrankheit entsteht, greife ich gerne auf das Türsteher-Beispiel zurück. Nehmen wir einmal an, eine große Diskothek wäre ihr Körper. Nehmen wir auch einmal an, dass die Türsteher ihr Immunsystem darstellen. Nehmen wir als drittes an, dass alle Gäste der Diskothek die Summe aller Zellen und Fremdstoffe darstellen, die in den Körper gelangen: neben den körpereigenen Zellen Mikroorganismen, Nährstoffe, Gifte, allgemein „Antigene“.
Das erste der beiden Beispiele hat als Hypothese auch in der Medizin ihren Platz gefunden. Es handelt sich um die so genannte „Hygiene-Hypothese“.
Stellen Sie sich dazu vor, dass einige Türsteher in einer Nobel-Diskothek in einer reichen Gegend arbeiten. Dort gibt es keine asozialen Gestalten und keine streitlustigen Menschen, sondern einfach nur nette Leute, die sich amüsieren und eine gute Zeit haben wollen. Das geht einige Wochen, Monate oder vielleicht sogar Jahre so. Alles, was die Türsteher zu tun haben, ist auf die Kleiderordnung zu achten.
Es gibt keine Streitereien, es gibt keine Schlägereien. Alles läuft ordentlich, friedlich und gesittet ab. Doch eines Tages entsteht urplötzlich in den großen und unübersichtlichen Club eine wahre Hysterie: Schlägereien an mehreren Stellen, Frauen werden vergewaltigt, das Interieur wird kurz und klein geschlagen. Die Ursache: einer der jahrelangen netten und unauffälligen Gäste hat auf einmal synthetische Drogen mit in den Club gebracht. Bis die Türsteher überhaupt bemerken, was los ist, herrscht im Club das totale Chaos. Quasi „eingelullt“ durch die jahrelange kuschelige, behagliche Atmosphäre sind die Türsteher vollkommen überfordert – und schlagen und prügeln im Club auf alles ein, was verdächtig ist.
Genauso geht es Ihrem Immunsystem bei übertriebener Hygiene. Die Türsteher brauchen quasi die kleineren Reibereien, die Auseinandersetzungen, um im Training zu bleiben und die Übersicht zu behalten. Zunächst wird das Immunsystem durch übertriebene Hygiene zu sehr entspannt und kann in einer gefährlichen Situation nicht angemessen reagieren. Es ist gleichsam verwirrt und verliert die Übersicht. Und „trifft“ bei überhasteten Aktionen das eigene Körpergewebe.
Die zweite Hypothese: die Hypothese der Überlistung des Immunsystems
Wir greifen wieder auf unsere Türsteher-Analogie zurück. Stellen Sie sich vor, ein großer Club hat zwei Eingänge. Die Türsteher sind an den beiden Eingängen gleich verteilt: an einem Eingang stehen vier und am anderen Eingang stehen ebenfalls vier Türsteher. Normalerweise geht alles seinen Gang. Sicherlich kommt es an dem ein- oder anderen Tag mal zu Reibereien. Im Großen und Ganzen haben die Türsteher die Situation jedoch im Griff.
Dann, eines Tages kommt es zu folgender Situation: an einem der beiden Eingänge macht sich eine Gang alkoholisierter Schläger breit. Es sind mindestens 15 Individuen, die offensichtlich auf Krawall gebürstet sind. Die natürliche Reaktion: die vier Türsteher fordern Verstärkung von anderen Eingang an. Die eilen auch herbei – allerdings mit der Konsequenz, dass der andere Eingang vorübergehend unbewacht ist! Was dann passiert, können Sie sich wahrscheinlich vorstellen: während die acht Türsteher versuchen, an dem einen Eingang die Situation zu deeskalieren, verschaffen sich am anderen Eingang zwielichtige Individuen Zutritt, die dann im Club Drogen verteilen und ein Chaos veranstalten.
Auch hier, wie oben mit dem gleichen Ergebnis: Schlägereien, Vergewaltigungen, Hysterie. Bis die Türsteher am ersten Eingang die Situation geklärt haben, ist im Club selbst jegliche Ordnung verloren gegangen. Da müssen die Türsteher natürlich im Club selbst eingreifen und verlieren dabei wie in der ersten Situation wiederum die Übersicht. Mit dem gleichen Endergebnis…
In allen zwei Fällem können wir die Feststellung treffen, dass die Situation hinterher so chaotisch ist, dass die eigentliche Ursache gar nicht mehr ermittelt werden kann bzw. vielmehr der Verursacher. Jeder drischt quasi auf jeden ein, die Security ist komplett überfordert und wird so in Atem gehalten, dass sie es nicht schafft, die Polizei zur Verstärkung zu rufen.
Die Ausgangsposition ist unterschiedlich, das Ergebnis aber im Grunde genommen dasselbe.
Zwei Metaphern, ein Resümee…
Eine Autoimmunreaktion des Körpers kann hauptsächlich dann auftreten, wenn das Immunsystem entweder untrainiert, abgelenkt ist oder zu einseitig agiert. Diese Einseitigkeit finden wir in dem zweiten Bild, wo alle Türsteher an einem Eingang und kein Türsteher an dem anderen Eingang stehen.
Die Türsteher an dem einen Eingang entsprechen dabei der unspezifischen Abwehr. Die Türsteher an dem anderen Eingang der spezifischen Abwehr. Bei einer Autoimmunkrankheit bzw. am Beginn derselben werden typischerweise die „Türsteher“ am Eingang „spezifische Abwehr“ abgezogen. Am Eingang „unspezifische Abwehr“ gibt es einen akuten Prozess: eine bakterielle Infektion, eine Schadstoffbelastung, eine Vergiftung. Hier ist schnelles Eingreifen gefordert, damit der Körper (der Club) keinen Schaden nimmt. Dabei bleibt allerdings die Pforte „spezifische Abwehr“ unbewacht. Dort können fiese Individuen (Viren) „Drogen einschmuggeln“ (im übertragenen Sinne: Körperzellen mit den Produkten ihrer Reproduktion belasten). Die Drogen machen die, die sich im Club befinden, aggressiv und schalten ihren Verstand aus (übertragen: Körperzellen werden durch die Stoffwechselprodukte der Viren dysfunktional). Ist die akute Attacke an dem einen Eingang geklärt, findest das Immunsystem ein funktionales Chaos im Körper (im Club) vor. Mit der Situation überfordert und gleichzeitig dazu gezwungen, irgendwie zu reagieren, dreschen die Türsteher unkoordiniert auf die Gäste ein (attackiert das Immunsystem die Zellen).
Der Ablauf bei der Hygienehypothese ist im zweiten Teil identisch, nur dass nicht die „unbewachte zweite Tür“ das Problem ist sondern der lange Zeitraum, in dem das Immunsystem nicht oder kaum gefordert wurde.
Autoimmunkrankheiten: Ursachen und Anlass…
Um das Bild abzurunden müssen wir natürlich abklären, wieso es unter ähnlichen Bedingungen bei einigen Personen zu Autoimmunkrankheiten kommt und bei anderen nicht. Wir haben hier in der Schulmedizin die Genetik an der Hand. Die Annahme, dass bestimmte Gene bestimmte Krankheiten begünstigen, ist sicherlich richtig. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, zu sagen: „bestimmte Gene (bzw. Veränderung desselben) verursachen bestimmte Autoimmunerkrankungen!“ Richtig ist die Formulierung: „bestimmte Gene bzw. Veränderung desselben begünstigen das Auftreten bestimmter Krankheiten unter vergleichbaren Bedingungen in Verhältnis zu anderen Personen!“ In der Naturheilkunde nennen wir dies eine Krankheitsdisposition. Diesbezüglich unterscheiden sich Schulmedizin und Naturheilkunde gar nicht mal so sehr voneinander.
Eine bestimmte Gen-Konstellation kann daher nicht die Ursache für eine Autoimmunkrankheit sein. Wir können die Genetik aber zur Hilfe nehmen, um zu klären, warum eine Person relativ robust gegenüber Umwelteinflüssen ist und die andere sehr sensibel, warum eine Person Zöliakie, eine andere Rheuma und eine dritte Multiple Sklerose entwickelt.
Der Anlass für die Entstehung einer Autoimmunerkrankung besteht jedoch immer in umweltmedizinischen Einflüssen, die das Immunsystem auf irgendeine Weise manipulieren oder ablenken. Diese Anlässe haben in der modernen Zeit gegenüber noch vor 50 oder mehr Jahren sehr stark zugenommen: Nahrungsmittelzusatzstoffe, technische Strahlung, biologischer Stress, langes Sitzen, bestimmte Abgase (Benzol!), Chemikalien, langsame Viruserkrankungen, Pilzinfektionen, Schwermetallbelastungen usw. Fast immer fällt der Beginn der Entwicklung einer Autoimmunkrankheit dabei mit einer akuten Situation des Immunsystems zusammen: einer Entzündung, einer bakteriellen Infektion, einer Vergiftung.
Ein Therapeut, der eine Autoimmunerkrankung ganzheitlich behandeln möchte, muss sich daher immer intensiv mit der Vorgeschichte der betroffenen Person befassen!
Für ein gutes Bauchgefühl,
Andreas Ulmicher