Fast jeder kennt dieses Gefühl, nur wenige lieben es – und die meisten figurbewussten Menschen hassen es: Heißhunger. Eine Heißhungerattacke kann in 10 Minuten das zunichtemachen, was man sich mit einer Woche Sport und gesundem Essen „heraus gearbeitet“ hat. Umso schlimmer, wenn dieses Gefühl auch noch nach einer Mahlzeit auftritt.
Heißhungerattacken entwickeln wir vor allen Dingen auf Dinge, die so überhaupt nicht gesund sind: Schokolade, Süßigkeiten, Chips, Fettes. Und wir schaffen es, uns binnen der erwähnten 10 Minuten so viele Kalorien einzuverleiben, dass wir eigentlich gleich im Anschluss 2 Stunden Straf-joggen müssten, um die „Sünde“ wiedergutzumachen.
Böse Sache: Heißhunger ist mit dem Verstand gar nicht, mit dem Willen kaum steuerbar
Heißhunger ist ein Automatismus, eine Art körpereigener Reflex. Er ist etwas, was mit dem Verstand gar nicht, mit dem willen kaum steuerbar ist. Er wird sozusagen autonom reguliert, also mittels des autonomen Nervensystems. Und dieses autonome Nervensystem reagiert – das liegt in der Natur der Sache – auf „Missstände“ im Stoffwechsel-System.
Etwas über Stress, Blutzucker – und Energiemangel (Burnout)
Eine zugegebenermaßen etwas naive Herangehensweise an das Thema Stress und Burnout ist die, sich einmal das Blutzucker-Gefälle zwischen dem Inneren der Zelle und dem Zwischenzellraum anzuschauen. Normalerweise gibt es einen Unterschied zwischen diesen beiden Sphären. Der ist auch dringend notwendig. Auf der einen Seite muss das Hormon der Bauchspeicheldrüse, das Insulin, nämlich dafür sorgen, dass der Zucker bzw. die Glukose auch in der Zelle ankommt. Denn ohne Glukose geht bei der Energiegewinnung nichts. Auf der anderen Seite ist eine hohe Blutzucker-Konzentration gar nicht erwünscht: bei einem notorisch hohen Blutzuckerspiegel ist es eher schwer, die Glukose in die Energiezentren der Zelle (die Mitochondrien) zu bekommen. Bedeutet: es ist zwar viel sogar da, steht aber trotzdem wenig Energie zur Verfügung.
Für eine Person, die vor allen Dingen unter mentalen Stress steht, kann sich daraus ein Teufelskreis entwickeln: körperlich hart arbeitende Personen bauen den Blutzucker immer wieder ab. Geistesarbeiter hingegen nicht. Ist der Blutzucker allerdings hoch, führt dies zu einem Energiemangel-Zustand. Das kann dazu führen, dass die betroffene Person sich ihrer geistigen Aufgaben nicht mehr gewachsen fühlt. Das autonome Nervensystem „diagnostiziert“ über den bestehenden Energiemangel einen Zuckermangel – und es kommt zu Heißhunger!
Unter der konstant hohen Zuckerzufuhr verlernt der Organismus ist irgendwie, dass auch andere Energiequellen wie zum Beispiel Fettsäuren zur Verfügung stehen. Der Körper kann Fettsäuren unter der konstant hohen Glukose-Konzentration gar nicht zur Energiegewinnung nutzen! Daraus entsteht ein wahrer Teufelskreis, der für den Betroffenen tatsächlich in ein Burn-Out-Syndrom kann! (Mehr zum Thema in meinem Ratgeber chronische Erschöpfung)
Energiemangel führt zu Heißhunger, Heißhunger führt zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel, der führt indirekt zu einer Verstärkung des Energiemangels. Irgendwann entgleitet dieser Zustand vollständig dem Willen des Betroffenen und er kann überhaupt nichts mehr steuern. Statt Energie aus Glukose zu gewinnen, setzt er mehr und mehr Fett an, was den Energiemangel aber nicht bekämpft.
Heißhunger: wo soll man zuerst ansetzen?
Diesen Zustand ausschließlich mit Disziplin bekämpfen zu wollen, ist nahezu aussichtslos. Es liegt allerdings nahe, da anzusetzen, wo er Zucker sozusagen gewonnen wird und ins Blut übergeht: am Darm.
Der gesamte Darm ist mit einem Netzwerk von Nervenzellen durchzogen, die auch als „das zweite Gehirn“ bezeichnet werden. Es besitzt viele verschiedene Rezeptoren für Hormone, Peptide (Eiweißbausteine, Beispiel: Glucagon-Like Peptide und Peptide YY) und …Zucker! Darüber hinaus ist im Darm das Mikrobiom zuhause, das etwa zehnmal so viele Bakterien beheimatet wie der gesamte Mensch Zellen hat.
Diese Bakterien wiederum kommunizieren mittels dieses Nervengeflechts mit der Darm-Hirn-Achse. Klartext: dieser possierlichen kleinen Tierchen sind es, die zu einem großen Teil den Appetit ihres Wirts mit lenken! Denn: verschiedene Darmbakterien-Arten stehen in ökologischer Konkurrenz zueinander. Und da gibt es Arten, die mehr Zucker „brauchen“ und natürlich auch solche, die mehr Aminosäuren oder wer Fettsäuren brauchen oder mehr Ballaststoffe bevorzugen. Während Bacteroides mehr Eiweiß und Aminosäuren „futtert“, bevorzugen die Prevotella-Arten mehr Kohlenhydrate, Bifidobakterien stehen mehr auf Ballaststoffe.
Diese raffinierten kleinen Biester „vergiften“ ihren Wirt nicht nur mit hormonähnlichen Substanzen und befehlen ihnen sozusagen indirekt, was sie zu essen haben. Nein, darüber hinaus programmieren Sie die Nervensensoren an der Darmschleimhaut sozusagen gerne einmal um – und das für ihre Zwecke. Dazu kommen die verschiedenen Faktoren, wie gut und wie schnell der Darm Zucker überhaupt aufnimmt – abhängig beispielsweise von den oben genannten Glucagon-Like Peptide.
Für den Betroffenen bedeutet das: wenn man nicht aus beiden Richtungen an der Stellschraube dreht, ist die Darmflora allein durch den Erhalt des Appetit auf bestimmte Nahrungsmittel an sich selbst erhaltendes System!
Vielen Gesundheits-Seiten empfehlen: Ernährung umstellen, Probiotika zu führen…
Da beißt die Maus keinen Faden ab: die Darmbakterien nehmen auch und gerne Einfluss darauf, was wir (bevorzugt) essen – und sie Regeln auf eine dämonische Art und Weise, ob wir Heißhunger empfinden oder nicht – und dies alles unabhängig davon, ob der Verstand sagt, dass wir eigentlich ein paar Pfündchen abnehmen sollten!
Viele renommierte Gesundheits-Seiten empfehlen daher, neben der Ernährungsumstellung auch eine Darmsanierung vorzunehmen. Dass es grundsätzlich zunächst einmal ein guter Gedanke. Es gibt bereits Firmen, die Probiotika-Mischungen exakt für diesen Einsatzzweck entwickelt haben.
Wie auch immer – ich bin der Meinung, dass das nicht ausreicht. Um einen wirklichen Erfolg in Sachen Heißhunger zu erreichen, sollte man die Darm-Wilhelm-Achse sozusagen von zwei Seiten in die Zange nehmen. Eine Zange funktioniert überhaupt nur, indem sie zwei gegenüberliegende Glieder hat, die zupacken können. Anders formuliert: Sie sollten sowohl den Darm als auf das Gehirn beim Schlafittchen packen.
Was ist auf der Darm-Ebene zu tun?
Unabhängig davon, wie viel sie insgesamt Essen, hat sich folgender kleiner Trick bewährt, um Heißhungerattacken natürlich zu unterbinden. Unabhängig von der Größe der Mahlzeit nehmen Sie zu jeder Mahlzeit ungefähr die gleichen Anteile an den drei Haupt-Nährstoffgruppen zu sich: Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate. Dabei sollten sie der 5-Stunden-Regel folgen:
- Wenn Sie 5 Stunden nach einer Mahlzeit noch gar keinen Appetit haben, reduzieren Sie die absolute Menge an Eiweiß um etwa 5 %, die absolute Menge an Fett um etwa 1-2 % bei jeder ihrer Mahlzeiten,
- Wenn Sie 5 Stunden nach einer Mahlzeit ein normales Hungergefühl haben, erhalten Sie Ihre Eiweiß- und Fett-Anteile bei
- Wenn Sie das Gefühl haben, Sie halten keine 5 Stunden bis zur nächsten Mahlzeit durch, müssen Sie den Eiweiß- und Fettanteil in ihren Mahlzeiten um 5 % bzw. 1-2% erhöhen
Es hat sich bewährt, mit einem Kohlenhydrate-Anteil von 65 %, einem Eiweiß-Anteil von 30 % und einem Fett-Anteil von 5 % zu beginnen. Und denken Sie daran: diese Anteile sind bei jeder Mahlzeit einzuhalten! Das ist zwar etwas ungewöhnlich, nach einer Weile aber durchaus angenehm.
Außerdem sollten Sie für den Darm noch folgendes tun:
- Nehmen Sie regelmäßig eine kleine Menge eines fermentierten Nahrungsmittels (Sauerkraut, Pickles, Rechtsregulat oder Brottrunk) möglichst vor einer Mahlzeit und möglichst in der ersten Tageshälfte zu sich
- Achten Sie darauf, ausreichend Ballaststoffe zu sich zu nehmen
- Zwischen der letzten und der ersten Mahlzeit sollte mindestens 12 Stunden Zeitabstand liegen
Was ist auf der Hirn-Ebene zu tun?
Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: das Gehirn mag keine chronischen Stress. Um gegenüber Stress robuster zu werden und die Bahn aufzubewahren, sollten wir die folgenden Dinge tun:
- Ausreichend Omega-3-Fettsäuren aufnehmen. Idealerweise mindestens 3 g pro Tag, besonders die langkettige Omega-3-Fettsäure DHA ist hilfreich
- Ausreichend Lecithin (Phosphatidylcholin) zu uns nehmen. Entweder beispielsweise per Nahrungsergänzung oder z.B. aus Eigelb
- Vorstufen von Hormonen und Nervenbotenstoffen ergänzen: 5-Hydroxy-Tryptophan oder S-Adenosylmethionin sind positiv
- Eventuell die Fettverbrennung „wecken“: wer per Sport regelmäßig seine Glukose-Vorräte erschöpft, ist gezwungen, die Fettverbrennung zur Energiegewinnung zu aktivieren. Sehr hilfreich ist dabei L-Carnitin, eine Verbindung aus 2 Aminosäuren.
Darüber hinaus…?
Sport und Teilfasten haben sich ebenfalls als Hilfreich (nicht bei Jedem) gegen notorische Heißhungerattacken erwiesen!
Für ein gutes Bauchgefühl,
Andreas Ulmicher
Quellen:
https://www.scientificamerican.com/article/how-gut-bacteria-tell-their-hosts-what-to-eat/
https://chriskresser.com/do-gut-microbes-control-your-food-cravings/
https://www.blackmores.com.au/probiotics/could-this-be-why-you-are-craving-sugar