Ernährung ist ein schwieriges Thema.
Oder nein, ich bin jetzt einmal ein wenig „fies“: Ernährung ist ungefähr seit den letzten 30 Jahren ein schwieriges Thema. Es ist tatsächlich so: früher war alles irgendwie einfacher. Auch das Thema Ernährung.
Zum Beispiel gab es vor ungefähr 90 Jahren einen Herrn Weston Andrew Price, seines Zeichens Zahnarzt. Und der hatte eine ebenso einfache wie interessante Hypothese über das Thema Ernährung: „Menschen, egal welchen Kulturkreises, sind so lange gesund geblieben, wie sich ihre Ernährung nach der ihrer Vorfahren richtete!“ Noch einmal zusammengefasst: wenn man das gleiche futtert wie die Groß- und Urgroßeltern, bleibt man gesund.
Also lenken wir die Aufmerksamkeit zunächst einmal auf die Groß- und Urgroßeltern!
Wenn Sie heute in ein, sagen wir mal, normales Altersheim gehen und zu einer Mahlzeit dort ihren Besuch der Seniorinnen und Senioren vornehmen, was wird Ihnen dann auffallen? Sicherlich sind die meisten dieser Menschen, da bereits hoch in den 80ern, teilweise sogar in den 90ern, krank und gebrechlich. Wenn sich die alten Damen und Herren aber etwas zu Essen bestellen, werden Sie Sätze wie: „für mich bitte vegan!“ oder: „Nur glutenfrei!“ – „Bitte keine Laktose“ oder: „ich vertrage überhaupt kein Getreide!“ eher nicht hören.
Nein, Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind in der Generation, die jetzt hochbetagt ist, nicht übertrieben weit verbreitet. Es stellt sich die Frage: können wir aus dieser Generation etwas lernen? Vor allen Dingen in Bezug auf uns?
Zunächst einmal: die Generation der „Hochbetagten“ hat den letzten Weltkrieg teilweise noch bewusst mit erlebt. Auch die nicht gerade üppigen Jahre danach. Sie mussten es damals „nehmen wie es kommt“ – was es zu essen gab, das wurde gegessen. Die Alternative „nicht essen“ funktionierte nicht – denn sonst wäre man verhungert. Auch die Hygienestandards waren zu dieser Zeit, verglichen mit heute, lausig. Ebenso die medizinische Versorgung. Nein: echten Wohlstand erlebte diese Generation erst später, etwa mit Mitte 20 (oder noch später). Biologisch gesehen ist zu dieser Zeit der Wachstumsprozess abgeschlossen.
Jetzt könnte man noch eigentlich annehmen: mit diesen Mängeln während der Kind- und Jugendjahre sollten die Menschen doch eigentlich anfällig und schwach für alles Mögliche gewesen sein – oder? Aber das Gegenteil ist der Fall: die Generation der über 80-jährigen ist gesundheitlich robuster als die nachfolgenden Generationen. Und Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind großenteils eine Sache meiner Generation (ich bin 47 Jahre alt) und aller Generationen danach.
Wir „Jüngeren“ müssen seltsame Ernährungsformen einhalten, um gesund zu bleiben (oder zu werden)
Je „trendiger“ das Restaurant bzw. je jünger das Publikum, umso größer die Hinweise auf „vegan“, „laktosefrei“, „milcheiweißfrei“, „glutenfrei“, „getreidefrei“ oder „frei von Zucker“ und so weiter. Im trendigen Bio-Bistro in der Großstadt können Sie die Bediensteten sogar ansprechen, ob das Baguette zum Salat nicht glutenfrei sein kann (falls es das nicht von vornherein ist!).
Wenn man die Klienten (ups, jetzt wollte ich schon „Patienten“ sagen!) eines solchen Bistros fragt, warum sie sich für „frei von…“ entscheiden, wird nur eine kleine Mehrheit der vegan-Abteilung mit „weil Fleisch ethisch nicht zu rechtfertigen ist“ antworten. Die gesamte glutenfrei-Division und andere ernährungsphysiologische „Randgruppen“ werden damit argumentieren, dass es entweder gesünder so ist oder aber sie eine bestimmte Sache nicht vertragen.
Für beide Argumente müssen jedoch Gründe gefunden werden.
Also, was ist da los?
Nun: Ärzte und Therapeuten überall auf der Welt, die auch mit naturheilkundlichen und ganzheitlichen Ansätzen sowie Ernährungsmedizin arbeiten, machen die ein- oder andere Beobachtung mit ihren Patienten. Ihnen fällt auf, dass sie gesundheitlich bestimmte Zustände zeigen, wenn sie bestimmte Dinge essen. Beispielsweise Gluten. Oder Fruchtzucker. Oder Laktose. Oder Histamin oder Lektine oder Milcheiweiß, oder…, oder…, oder…
Dann finden Sie einen roten Faden. „Bei den Patienten, die besonders viel Getreide essen, fanden sich häufig bestimmte Krankheitsbilder“. Daraus schließen sie: Getreide muss für die menschliche Ernährung schädlich sein.
Am anderen Ende der Skala sind dann die Patienten selbst. Nehmen wir einmal an, ein einzelner Patient leidet an einer sehr hartnäckigen Erkrankung, der er mit nichts anderem bei kommt. Medikamente scheinen nicht zu helfen – oder Sie wirken nur so lange, wie sie genommen werden. Die Gesamtsituation bessert sich nicht. Dann experimentieren diese Menschen ein wenig mit ihrer Ernährung, lassen bestimmte Dinge weg und stellen fest, dass es Ihnen besser geht.
Nehmen wir einmal an, eine solche Person kennt sich dazu noch mit dem Internet, mit Webseiten und dem Marketing und dem Bloggen gut aus. Durch das virale Medium „Internet“ ist es gut möglich, dass sich seine Erkenntnisse verbreiten.
Ernährungserkenntnisse werden viral…
Dank des Internets ist die Welt ein globales Dorf. In diesem Dorf verbreiten sich Neuigkeiten wie ein Lauffeuer – vor allen Dingen dann, wenn sie richtig verbreitet werden. Google gewichtet Blogartikel nach Gehalt und Sinn – nach einem „Mehrwert“ für den Leser. Die Mechanismen werden dabei immer ausgefeilter. Leser überall auf der Welt mit ähnlichen Problemen probieren die gewonnenen Erkenntnisse an sich aus. Einige haben Erfolg damit, andere nicht. Diejenigen, die Erfolg haben, werden darüber berichten – eine Erkenntnis wird viral!
Alternativ denkende Ärzte und Therapeuten, aber auch mit dem Medium Internet sehr gut vertraute Patienten bestimmter Krankheiten sind die größten Protagonisten von Ernährungsformen, die heute als besonders gesund angesehen werden. Was sich in dem Ernährungsirrgarten des globalen Dorfs alles finden lässt, erstaunt Experten und versetzt Laien in Angst und Schrecken. Hier eine kleine Auswahl:
- Vegan
- Vegetarisch
- Rohkost
- Glutenfrei
- Lektinarm
- Histaminarm
- Fructosearm
- Low Carb
- LCHF (Low Carb High Fat)
- Steinzeit-Diät
- Laktosefrei
- Getreidefrei
- Zuckerfrei
- Low Fat
- Fructarisch
- Makrobiotisch
- Clean Eating
Ich bin mir sicher, ich würde noch mehr finden, wenn ich gezielt danach suchen würde. Diese hier sind mir aus dem Stehgreif eingefallen (!) Die Übersicht kann man da leicht verlieren.
Kommen wir zum zweiten Punkt:
Warum gelten gegensätzliche Auffassungen von gesunder Ernährung (wie zum Beispiel vegan und Low-Carb) beide als gesund?
Und warum bekämpfen sich die Verfechter dieser Ernährungsformen gegenseitig im Internet?
Das hat zwei Gründe: erstens entstehen die verschiedenen Ernährungsformen aufgrund persönlicher Erfahrung – oder aufgrund Erfahrung mit einigen Patienten. Dann werden diese Erfahrungen auf die Allgemeinheit übertragen.
Der zweite Grund: all diese Ernährungsansätze laufen auf eine „vollwertige“ Schiene hinaus: wenig oder kein Zucker, keine industriell verarbeitete Kost, natürliche Zutaten. Jemand, der von einer Standard-Zivilisation-Ernährung kommt, wird zunächst von jeder dieser Ernährungsformen profitieren – allein dadurch, dass sie vollwertig ist und das minderwertige Nahrungsmittel oder sogar Genussmittel und Reizstoffe weggelassen werden.
Wenn Sie vorher viel Zucker gegessen haben, werden sie allein durch das Weglassen von Zucker in jedem Fall von der Ernährungsumstellung profitieren – egal ob Sie sich dann vegan oder nach der Steinzeit-Diät ernähren. Sie werden sich besser fühlen.
Wenn hingegen ein Protagonist einer Ernährungsform, ein Verfechter – beispielsweise der veganen Ernährung – sieht, dass einer das Gegenteil behauptet, muss er nach seiner Auffassung dessen Ernährung natürlich für ungesund halten! Deswegen bekämpfen sich die Verfechter unterschiedlicher Ernährungsformen im Internet ständig gegenseitig.
Kommen wir zum dritten Punkt:
Was ist Realität, was ist richtig – und was ist Einbildung?
Ich denke, dass verschiedene Ernährungsformen und Diäten physiologisch und organisch gesehen „wirken“. Es gibt dafür verschiedene Beweise und wissenschaftliche Studien. So gibt es zum Beispiel für die kohlenhydratarme Ernährung die so genannte „Crohn-V-Studie“. Sie besagt, dass bei Morbus Crohn die „Low-Carb“ Ernährung bessere Effekte für die Gesundheit bringt als eine überwiegend vegetarische, vollwertige Ernährung.
Solche Dinge sind nicht von der Hand zu weisen.
Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die psychologische Komponente beim Beginnen einer bestimmten Ernährungsform größer ist als man annehmen könnte. Oder etwas anders und pointierter formuliert: Ernährung hat auch einen Placebo-Effekt!
Wenn sich jemand über seine Gesundheit viele Gedanken macht und in verschiedenen Bereichen gesundheitlich angeschlagen ist – er bzw. sie muss jetzt nicht hoffnungslos krank sein – wird er in Zeitschriften, in Fernsehsendungen und im Internet nach verschiedenen Berichten von kranken Personen fahnden, die sich einer speziellen Ernährungsweise unterzogen haben. Er bzw. sie wird denken: „das ist auch was für mich!“ Da, wie gesagt, alle neuen „alternativen“ Ernährungsformen und Diäten den Aspekt der Vollwertigkeit gemeinsam haben, werden die positiven Effekte in keinem Fall ausbleiben. Getragen und verstärkt werden diese Effekte jedoch auch durch die positive Erwartungshaltung dessen, der die Ernährung ausprobiert. Damit lassen sich tatsächlich in der Praxis bemerkenswerte Effekte erzielen.
So kann es durchaus vorkommen, dass durch die physiologischen Effekte einer bestimmten Ernährungsform – vor allen Dingen, wenn diese „passt“ – plus die positive Erwartungshaltung an die Ernährung aufgrund von Erfahrungsberichten etc. eine chronische Krankheit „heilt“.
Diese sehr positiven Erfahrungen werden von verschiedenen Patienten verschiedener Krankheiten mit verschiedenen Ernährungsformen überall auf der Welt gemacht. Die Ernährungsform an sich wird dadurch gestärkt.
Die wichtigste Erkenntnis überhaupt: es gibt keine Ernährungsform, die für jeden ideal ist!
Diese Erkenntnis sollte man sich besonders merken: unterschiedliche Krankheiten haben unterschiedliche Voraussetzungen im Stoffwechsel. Auch das Verdauungssystem reagiert bei jedem anders. Es gibt unterschiedliche Darmflora-Typen und unterschiedliche Konstitutionstypen. Allein diese Erkenntnis und dazu noch die zusätzliche, dass unterschiedliche Krankheiten eine unterschiedliche Ernährung notwendig machen (denken Sie bitte an Diabetes und Gicht!) Führt zu der Einsicht, dass es „die eine“ Ideal Diät für jedermann gar nicht geben kann!
Verschiedene Nahrungsmittel verstärken verschiedene Anteile des Stoffwechsels. So stärkt Ananas die Enzymtätigkeit und die Verdauungskraft. Auf der anderen Seite führt sie aber zur verstärkten Freisetzung von Histamin im Darm. Allergiker mit einer vegetativen Erschöpfung werden sich daher beim Genuss von Ananas unwohl fühlen oder eventuell auch mit krankhaften Symptomen reagieren.
Rotes Fleisch gilt in der landläufigen Meinung als ungesund. Tatsächlich ist es schwer verdaulich und setzt ein intaktes Enzym-und Verdauungssystem voraus. Rotes Fleisch ist nicht für jeden. Aber eine Studie besagt, dass der Verzehr bestimmter Mengen roten Fleisches einer Depression entgegenwirken kann. Rotes Fleisch stärkt die Aktivität der Nebennieren (vor allem durch den Gehalt von B-Vitaminen, Tyrosin, Histidin und einigen Spurenelementen).
Jeder Mensch ist anders, und jeder Darm ist anders. Es sind keine zwei Menschen völlig gleich. Also kann auch die ideale Ernährung von zwei verschiedenen Personen niemals völlig gleich sein, auch wenn man Menschen grob in verschiedene Stoffwechseltypen einordnen kann.
Es gibt viele verschiedene Ernährungsformen, und erst die wachsende Bewusstheit der Menschheit durch verschiedene, zivilisationsbedingte Krankheiten hat zu zunehmender Bekanntheit spezieller Ernährungsformen geführt.
Wenn Ihnen eine bestimmte Ernährungsform bei Ihren gesundheitlichen Problemen also geholfen hat, wunderbar! Aber denken Sie daran: jemand anderem muss die gleiche Ernährungsform nicht unbedingt helfen. Er bzw. sie braucht eventuell etwas völlig anderes!
Für ein gutes Bauchgefühl,
Andreas Ulmicher
Quellen:
http://www.metabolic-typing.de/
https://www.youtube.com/watch?v=foRTB-QYu08
http://kellybroganmd.com/red-meat-for-your-depression/
https://www.healthline.com/nutrition/vegan-diet-benefits
https://www.medicalnewstoday.com/articles/319593.php
http://forum.nicolai-worm.de/index.php/Thread/5596-LOGI-und-Crohn/
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4331053/
https://www.verywell.com/wheat-allergy-vs-gluten-allergy-562637