Wie viele andere gesundheitliche Probleme auch, so sind auch Allergien Krankheiten des ausgehenden 20. Jahrhunderts und des 21. Jahrhunderts. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren Allergien ein Problem, das man kaum wahrgenommen hat. Heute muss man beinahe die Personen suchen, die keinerlei allergische Reaktionen haben.
Gleichzeitig ist es der Darm, der in immer mehr wissenschaftlich-medizinischen Veröffentlichungen mit vielen modernen Gesundheitsproblemen in Zusammenhang gebracht wird. Im Übrigen auch zum Thema Allergien.
Zunächst einmal ganz kurz: was ist eine Allergie?
Eine Allergie ist eine Reaktion auf den Kontakt bzw. die Konfrontation mit bestimmten Stoffen und Substanzen, die sozusagen über das Ziel hinaus schießt. Das Immunsystem bekämpft an sich harmlose Substanzen, wie beispielsweise Pollen, bestimmte Nahrungsmittel, Hausstaubmilben etc. Eine Allergie beginnt mit einer Sensibilisierung. Durch den Kontakt mit der potenziell allergieauslösenden Substanz findet die Sensibilisierung statt, und der Organismus bildet die spezifischen Antikörper aus. Ob es dann zum Zweitkontakt mit dem Allergen, findet eine schnelle allergische Reaktion statt: Nasenlaufen, Augentränen, Rötung der Augen, Niesen, Ausschlag (Nesselsucht, Ekzem), Reaktionen am Magen und Darm wie beispielsweise Durchfall.
Wieso sich überhaupt eine Allergie entwickelt und warum sich das Problem in den letzten Jahren wesentlich verstärkt hat, darüber gibt es verschiedene Hypothesen. Hier kurz die wichtigsten:
- Die Hygienehypothese
Grob gesagt, geht die Hygienehypothese von einer fehlenden Konditionierung von Säuglingen auf bestimmte Bakterien aus. Während der Schwangerschaft erlebt die werdende Mutter eine natürliche Dominanz der humoralen Abwehr, eine so genannte Th2-Dominanz. Findet die Geburt dann unter „klinischen“ Bedingungen statt, fehlt die Konzentration mit bestimmten Erregern, die natürlicherweise das Th1-Immunsystem stimulieren und so einen Ausgleich herbeiführen. Das Immunsystem bleibt „Th2-lastig“, die Bereitschaft zu Allergien ist erhöht.
- Die Impf-Hypothese
Die Impf-Hypothese beruht auf der Annahme, dass Impfungen durch eine Verschiebung immunologischer Reaktionen die Allergiebereitschaft erhöht. In der wissenschaftlichen Medizin gilt diese Hypothese als umstritten. Die Theorie dahinter ist: durch die Impfung kommt es zu einem „Trade-Off“ von bestimmten Teilen des Immunsystems, indem die spezifische Abwehr gestärkt, die unspezifische aber gleichzeitig geschwächt wird. Ich persönlich bin der Meinung, dass bei der Erhöhung der Bereitschaft zu Allergien auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen, wie beispielsweise latente Infekte zum Zeitpunkt der Impfungen. Dies ist ein Risiko, dass man in der heutigen Zeit leider nicht ausschließen kann, da immer mehr Infekte bedingt durch physikalischen und organischen Stress (Nahrungsmittel, technische Strahlung, Umweltschadstoffe) „nicht richtig ausbrechen“ und eine Zeit lang latent bleiben. Auch bereits bestehende immunologische Verschiebungen könnten theoretisch unter ungünstigen Umständen durch die Impfung verstärkt werden. Da es sich um individuelle Ereignisse handelt, ist es schwer, hier Nachweise zu finden oder zu treffen.
- Rückgang von parasitären Erkrankungen
In verschiedenen Studien, die in Afrika und Südasien durchgeführt wurden, wurde bei Kindern mit einer parasitären Erkrankung um ein mehr als die Hälfte verringertes Risiko für Allergien festgestellt. Der Grund liegt darin begründet, dass parasitäre Erkrankungen IgE-vermittelte Abwehrreaktionen stimulieren und koordinieren. In der westlichen Zivilisation kommen parasitäre Erkrankungen kaum noch vor.
- Veränderung der Darmflora
Stress, veränderte Ernährung, eventuell fehlenden Mikronährstoffe und vor allen Dingen das Fehlen bestimmter Ballaststoffe wie FOS (=Fructooligosaccharide) und GOS (=Galaktooligosaccharide) verschieben das Gleichgewicht der Darmflora und führen eventuell zum Fehlen der so genannten protektiven Flora. Der Schutz der Darmschleimhaut geht teilweise verloren. Auf diesem Wege können vor allen Dingen Nahrungsmittelallergien entstehen.
Womit wir bereits mitten in unserem Thema wären…
Ich möchte Ihnen jetzt nicht einfach ein paar Fakten vorliegen, die Sie mit etwas Recherche im Internet selbst finden können, sondern ich möchte Ihnen mein Modell vorstellen, wie Allergien vom Darm aus begünstigt werden.
All die oben genannten Faktoren haben zumindest theoretisch ihre Berechtigung
Im Idealfall gibt es ein Gleichgewicht zwischen Infektabwehr und Allergenabwehr (Allergen in dem Sinne benutzt – alles, was an nicht infektiösen Fremdstoffen von außen auf den Körper einwirken kann). Sozusagen aus der entspannten Ruheposition heraus kann das Immunsystem einmal auf die eine, dann wieder auf die andere Anforderung reagieren. Es wird dabei – wie gesagt, im Idealfall! – niemals eine überschießende Reaktion zeigen.
Da der Mensch allerdings mit der Umwelt in permanenter Verbindung steht, wird dieser Idealzustand nur dann erreicht, wenn eine ideale Umwelt vorliegt: ausreichend Hygiene für Sicherheit vor großen immunologischen Belastungen, gleichzeitig ausreichende Anreize für das Immunsystem, zu trainieren.
Etwa im Mittelalter gab es ein Ungleichgewicht in die eine Richtung: die großen Epidemien (wie beispielsweise die Pest, die Cholera oder auch Typhus und Tuberkulose). Mangelnde Hygiene und enger Kontakt vor allen Dingen in den mittelalterlichen Städten begünstigten die Ausbreitung dieser Infekte, die nicht selten für den Betroffenen tödlich endeten. Heute haben wir ein Ungleichgewicht in die andere Richtung: dieses Ungleichgewicht ist durch die Hygienehypothese beschrieben. Das beginnt bereits bei der Geburt:
Kaiserschnittkinder haben weniger Kontakt mit der mütterlichen Darm- und Vaginalflora, jedoch eventuell solchen mit Krankenhauskeimen. Auf diesem Problem begründet sich eine dauerhafte Dominanz der Th2-Abwehr. Durch diese Dominanz werden überschießende immunologische Reaktionen auf Allergene überhaupt erst möglich. In der heutigen Zeit betrifft dies natürlich nicht nur Kaiserschnittkinder.
Dann haben die Mütter schon während der Schwangerschaft zusätzlich zu ihrer natürlichen Th2-Dominanz zusätzliche Umweltbelastungen, die diese Dominanz noch einmal verstärken. Umweltbelastungen wie Feinstaub, Nahrungsmittelzusatzstoffen etc. kann sich heute niemand mehr entziehen.
Und dann gibt es da natürlich den Stress. Stress tritt in verschiedenen Formen und Varianten auf; bei Leibe nicht nur in Form von psychischem Stress. Da gibt es einmal den physikalischen Stress durch die quasi permanent vorhandene technische Strahlung. Da gibt es den gleichen biologischen und chemischen Stress, der bereits Schwangere betrifft. All diese Faktoren verstärken noch einmal die humorale Abwehr, zu der auch die Giftabwehr zählt. „Gifte“ im immunologischen Sinne sind heute immer und überall vorhanden.
Vieles hängt auch von der Konstitution des Betroffenen ab
Stress – jede Form von Stress – dämpft zunächst einmal überschießende immunologische Reaktionen. Dies ist eine hervorragende Eigenschaft des Hormons Cortisol, dass zu diesem Zwecke ja nun auch seit bereits drei Generationen in der Medizin umfassend eingesetzt wird. Jedoch hat dieses Unterfangen auch eine negative Komponente: Cortisol setzt nämlich auch die Funktionen des Darms, die Enzymeausschüttung, die Peristaltik und natürlich auch das darmassoziierte Immunsystem entweder direkt oder indirekt herab. Wenn ein Säugling bzw. ein Kleinkind nicht von vornherein eine „Atopie“ (Neurodermitis, Asthma, Allergien) entwickelt, kann sich für eine Weile ein zweifelhaftes Gleichgewicht der Pseudogesundheit einstellen: die Betroffenen merken keine krankmachenden Erscheinungen, fühlen sich aber nicht recht wohl in ihrer Haut, neigen beispielsweise zu Unruhe, verspannter Muskulatur, Heißhunger und Verstopfung. Dies finden wir heute ebenfalls bereits bei Kindern, was meine langjährige Erfahrung mit jungen Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und deren Vorgeschichte nahelegt.
Dieses (nicht wirklich optimale) Gleichgewicht funktioniert aber nur so lange, wie der Organismus zu einer Stressreaktion bzw. einer biochemisch-hormonellen Antwort auf den Stress in der Lage ist. Es kommt der Zeitpunkt, an dem dieses Stress-Management-System (die Achse „Hypothalamus – Hypophyse – Nebennieren“) zusammenbricht. Die Cortisol-Produktion und -Ausschüttung lässt nach.
Bis es soweit ist, arbeiten der Darm selbst sowie das darmassoziierte Abwehrsystem allerdings auf „Sparflamme“. Unter diesen Bedingungen kann sich die Darmflora bereits verändern, beispielsweise kann sich eine zunehmende Fäulnis aufgrund der Darmträgheit einstellen. Die Bakterien, die sich dann vermehren, nennt man auch Fäulniskeime oder putrefaktive Flora. Sie haben eine sehr unangenehme Eigenschaft. Sie traktieren die Darmschleimhaut unter anderem mit Histamin. Histamin ist wiederum ein Gewebshormon, welches in den entzündlichen Prozess einer humoralen Abwehrmaßnahme eingebunden ist – und damit auch eine Rolle bei Allergien spielt.
Und wie gesagt: solange aufgrund von (innerem oder äußerem) Stress der Cortisol-Spiegel im Körper erhöht ist, bemerkt der Betroffenen nicht viel im Sinne von krankhaften Reaktionen: Cortisol reguliert die Effekte von Histamin (und anderen entzündungsfördernden Botenstoffen, aber auch Zytokinen) herunter.
Wenn, wie oben beschrieben, dass Stress-Management-System allerdings zusammenbricht, fallen diese regulierenden Effekte aus: das Immunsystem im Darm wird plötzlich sehr aktiv und „sieht den Schaden“, um es mal so zu sehen: mikroskopische Schäden an der Darmschleimhaut, Leaky Gut (durchlässige Darmschleimhaut), schlechte Darmbakterien, oxidativen Stress etc.
Das ist so ähnlich wie ein „Call-To-Action-Button“ für das Immunsystem. Das wird plötzlich hyperaktiv, ist überlastet und kann keine zusätzlichen Belastungen von außen gebrauchen – sprich: keine Allergene. Diese werden plötzlich vehement bekämpft und durch die Einseitigkeit in der humoralen „Gift“-Abwehr kommt es zu Sensibilisierungen des Körpers gegen Eiweißstrukturen: Proteine und Polypeptide. Allergische Reaktionen beginnen!
Neben den klassischen Beschwerden einer Atopie (Neurodermitis, Allergien, Asthma) kann es zusätzlich zu bestimmten Reizdarm-Formen, zu Sodbrennen (durch die Aktivierung der H2-Rezeptoren im Magen durch Histamin) und unter ungünstigen Umständen sogar zu einer Colitis ulcerosa kommen! Die „Schäden“ im Darm sind flächig, zusammenhängend und betreffen die Schleimhäute – ein Zeichen einer überaktiven humoralen Abwehr.
Zu guter Letzt die Frage: was kann man tun?
Die Probleme, die dahinter stehen, sind häufig so komplex, dass man den Rat eines kompetenten Therapeuten suchen sollte, um alle Facetten richtig therapieren zu können. Die individuelle Komponente ist dabei natürlich zu berücksichtigen. Sie leitet sich aus der Vorgeschichte des Betroffenen ab.
Die grundsätzlichen Maßnahmen kann man jedoch grob beschreiben:
- Eine Darmflora etablieren, die eine überaktive Th2-Immunantwort herunter reguliert
Bestimmte Pro- und Präbiotika dämpfen die Reaktion der humoralen Abwehr und verringern so die allergischen Reaktionen: beispielsweise FOS, GOS (s.o.), Lactobacillus reuteri, L. salivarius, L. acidophilus, L. casei und Bifidobacterium bifidum. Auch andere Bakterien tun dies, aber nicht so deutlich. Sie regulieren die „Tregs“, die regulatorischen T-Helferzellen nach oben. Eventuell muss man vorher erst „putzen“, um eine ungünstige bzw. Fäulnisflora zu reduzieren. Ich habe gute Erfahrungen gemacht mit: Proanthocyanidin, Carvacrol und Manuka-Honig, es gibt aber in der Naturheilkunde noch mehr Möglichkeiten. Auch Huminsäure kann gut eingesetzt werden und hilft hier oft bei chronischem Durchfall.
- Natürliche Antihistaminika geben
Quercetin, Zink, Calciumascorbat, Brennnesselextrakt, Enzyme, Glutamin und andere natürliche Antihistaminika helfen der Darmschleimhaut auf der einen Seite bei der Regeneration, auf der anderen Seite regulieren Sie Histamin herunter.
- Die Arbeit der Nebennieren anregen
In einer amerikanischen Arbeit wurde die Schwäche der Nebennieren einmal als „das Stress-Syndrom“ des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Ihre Tätigkeit gilt es in der ganzheitlichen Therapie anzuregen. Adaptogene und sympathikotrophe Substanzen sind hier hilfreich, wie beispielsweise Ginseng, sibirischer Ginseng, bestimmte Aminosäuren, B-Vitamine, Rosenwurz, Omega-3-Fettsäuren, Magnesiumthreonat, Schizandra, Epigallocatechingallat und weitere. Es gibt Nahrungsergänzungsmittel, die das „adrenale System“ stärken.
Diese drei Punkte sind aus meiner Sicht das Fundament einer ganzheitlichen Allergie-Therapie. Darüber hinaus gibt es natürlich noch weitere individuelle Probleme zu berücksichtigen, wie beispielsweise die naturheilkundliche Herdsanierung, Entgiftung, Regulation des Säure-Base-Haushalts, Ernährungsumstellung und so weiter. Aber die oben genannten drei Faktoren sollten in jedem Fall bei der ganzheitlichen Therapie einer Allergie eine Rolle spielen!
Für ein gutes Bauchgefühl,
Andreas Ulmicher
Quellen:
http://www.medizinfo.de/impfen/allgemein/kontraindikationen.shtml
https://integratedwellness.com.au/could-adrenal-fatigue-be-hidden-cause-of-your-allergies/
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4048541/
https://www.webmd.com/allergies/news/20041223/healthy-gut-may-resist-allergies-asthma
https://kresserinstitute.com/gut-flora-food-allergies-connection/